Campanile
Der wuchtige Campanile wurde erst 1861 der kleinen Agios-Nikolaos-Kirche von Ochia draufgesetzt.
Ein Totengott ist schwer totzukriegen. Und von all den alten Herren der Finsternis war der griechische der zählebigste. Hades gebot weiter über die Unterwelt am Ende Europas, als überall sonst auf dem Kontinent ein neuer, nun einziger Gott sich durchgesetzt hatte.
Dann endlich nimmt das Christentum im 9. Jahrhundert die Hürde des Taygetos und der Kirchenbau boomt jetzt auch in der Mani. Kapelle nach Kapelle entsteht, eine schöner als die andere. Nun allerdings bedroht von neuen Eroberern, weiteren Religionen, doch in der Mani lässt man nichts über seine Kirchen kommen – höchstens einen Campanile.

Von Waltraud Sperlich


„Maina was?” und „Maina wo?” mag sich fast jeder der byzantinischen Potentaten gefragt haben, wenn die Rede auf den südlichsten Zipfel Griechenlands kam. Die Kaiser in Konstantinopel blendeten das alte Schattenreich aus, obwohl es faktisch zu ihrem Staat gehörte, tatsächlich aber in einer anderen Welt, in einer früheren Zeit verharrte. Das Hoheitsgebiet des Hades wird in den Akten – so es überhaupt erwähnt wird – Maina genannt, nach einer Burg, die wahrscheinlich auf der Tigani stand, jener „Bratpfanne” genannten Halbinsel im Westen der Mani. Irgendwann zu Beginn des 1. Jahrtausends muss sie erbaut worden sein, zu jener Zeit also, als sich an den Nordgrenzen des Römischen Reiches Unheil zusammenbraute. Wirtschaftsflüchtlinge begehrten Einlass, suchten jenseits von Germanien, der Schwarzmeerregion und der slawischen Länder ein besseres Leben. Doch schon damals schotteten sich die reichen Wirtschaftsnationen ab; um die Armen draußen zu halten, teilte man im Römischen Reich sogar die Macht mit der vergeblichen Hoffnung, so doppelt schlagkräftig zu sein. Aber die römischen Grenzwälle brechen wie Dämme, bis nach Griechenland hinein strömen nun die Goten und Hunnen, Slawen und Awaren, die ihren Zerstörungszug auf dem Peloponnes fortsetzen.

 

Nicht nur für die Hungerleider der Spätantike und des frühen Mittelalters ist der Süden Griechenlands ein Traumziel. Auch die Noblen fassen jetzt die Mani ins Auge, allerdings mehr aus strategischen Gründen. So sucht die Seemacht Venedig schon seit längerem rund ums Mittelmeer Stützpunkte für ihr Handelsimperium, hat sich bereits 1082 in Nafplio und Koroni festgesetzt und richtet ihr Augenmerk auch auf Maina.

 

Weil es die anderen begehren, wird auch Byzanz auf die Mani aufmerksam und nun wundert man sich am Bosporus, wie nur der Mittelfinger des Peloponnes von der oströmischen Landkarte verschwinden konnte. Die kirchlichen Würdenträger müssen sich fragen lassen, warum ihre Missionare die Mani übersehen haben, dieser Teil des heiligen Reiches so lange so unheilig bleiben konnte.

 

Es sei keiner da gewesen, der Ohren für die frohe Botschaft gehabt hätte, reden sich die Popen in Konstantinopel heraus. So der Patriarch Nikolaus Grammaticus, der im späten 11. Jahrhundert folgende Entschuldigung nachliefert: „Um das Jahr 590 stürmten Slawen und Awaren auf den Peloponnes, den sie 218 Jahre lang hielten.” Diese barbarischen Eroberer „trennten den Peloponnes so vollständig vom Kaiserreich, dass kein byzantinischer Amtsträger es wagte, einen Fuß in das Land zu setzen.”

 

Hagia Sophia
Überall in der Mani zu entdecken: Hagia Sophias im Mini-Format.
 
Der mythische Wasserspeier und die Schmucksteine der Agios-Nikolaos-Kirche von Ochia stammen aus einem antiken Kultbau.
Wasserspeicher

 

Wo allein Olivenbäume trösten

 

Das sieht ein Oströmer ganz anders, ein Kaiser, der näher am Geschehen dran war. Konstantinos VII. Porphyrogennetos lebte gut 100 Jahre vor dem Patriarchen Nikolaus und schreibt folgendes in seiner Handschrift über das Regieren (De administrando imperio): „Es sei darauf hingewiesen, dass die Bewohner der Burg Maina nicht zur Rasse der Slawen gehören, sondern zu den älteren Romaioi, die heute von den Einwohnern der Gegend als Griechen bezeichnet werden, weil sie Götzenanbeter und Götzendiener waren wie die alten Griechen und getauft wurden und Christen geworden sind unter der Herrschaft des glorreichen Basileios.” Die Maniaten verehrten also ihre alten Götter weiter, bis Basileios I., der von 867 bis 886 herrschte, auch in der letzen Ecke seines Byzantinischen Reiches den neuen Gott inthronisierte. Die Heimat der renitenten Hadesanbeter beschreibt Konstantinos so: „Der Ort an dem sie leben, hat kein Wasser und ist uneinnehmbar, hat aber Olivenbäume, die ihnen einigen Trost spenden.”

 

Taxiarchis-Kirche
Aber mit dem neuen Gott kommt nun der große Tröster in die Mani. Doch allem Anschein nach finden die frisch Bekehrten weniger Trost im Glauben als im Kirchenbau. Basilika nach Basilika entsteht; ihre Kuppeln mildern das Schroffe in der Mani, runden das Landschaftsbild ab. Dass sich die Kirche ab 1054 in einer Zerreißprobe befand, die schließlich zur der Spaltung in Katholizismus und Orthodoxie führte, drang kaum in den Herrgötterwinkel des Peloponnes vor, wo oben der neue Gott herrschte und unten wohl weiter Hades das Sagen hatte. Dagegen hielten Christus’ Statthalter auf Erden nichts von Koexistenz, und schon gar nichts von einer friedlichen. Vorgeblich wurde zwischen Ost und West um Glaubensinhalte gestritten, tatsächlich ging es um die Macht innerhalb der Kirche. Der Papst in Rom wollte die Alleinherrschaft über alle Christen, und um das zu schaffen, dekretierte er die Exkommunikation des Oberhauptes der Ostkirche. Was jener erhobenen Hauptes ignorierte.

Die Taxiarchis-Kirche bei Charouda, ein Musterbeispiel für die vielen Muster, mit denen sich die Kapellen in der Mani schmücken. Kreuzkuppelkirche, die aus den riesigen Quadern eines antiken Kultbaus errichtet wurde. Auch alte Inschriftentafeln mussten als Mauersteine herhalten.

 

Alle Päpste hatten von nun an nur ein Ziel: Sie wollten Byzanz fallen sehen. Und da traf es sich doch gut, dass just zu diesem Zeitpunkt die Kreuzzüge auf den Weg gebracht wurden. Der vierte dieser unheiligen Raubzüge wird 1203 umgelenkt und statt Jerusalem erobern die Ritter unter fränkisch-venezianischer Führung nun Konstantinopel. Die „christlichen” Soldaten richten unter der Bevölkerung ein Blutbad an, brennen Paläste und Bibliotheken nieder, rauben die Kunstschätze der Stadt, die sie umgehend nach Venedig verschiffen, wo heute noch die berühmten Bronzepferde Konstantinopels die Fassade der Markuskirche schmücken. Auf den byzantinischen Thron hieven sie einen der ihren und das oströmische Reich wird die nächsten 55 Jahre fränkisch und katholisch.

 

Die Madonna der Piraten

 

Schlosskirche
Die Odigitria-Kapelle vor steiler Felswand, mit der sie fast zu verschmelzen scheint.
Dass Konstantinopel gefallen ist, nehmen die Franken als Anlass, sich auch in Griechenland die schönsten Plätze anzueignen. Schon 1205 landen die Heere der Grafen Villehardouin und Champlitte auf dem Peloponnes, wo sie sich Kastelle bauen lassen, ganz wie daheim in Nordfrankreich. So wird auch auf der Halbinsel Tigani die alte Burg Maina samt Schlosskirche annektiert und zu einer wuchtigen Festung erhöht.
Doch in der Mani treffen die Franken auf ihre Kollegen zur See, auf die Raubritter der Meere. Die Piraten – so sie das Land betreten sind sie daheim in Mezapos, das gegenüber der Tigani liegt – lassen nichts unversucht, den neuen Herren die Herrschaft zu vergällen. Stolz zeigen sie den katholischen Franken immer wieder, was in der Mani Sache ist. An was sie noch glauben, außer ans große Geld. So errichten sie in Uferklippen jenseits der Tigani eine Felsenkirche, die auf die Burg der Usurpatoren heruntersieht. Sie ist der Odigitria geweiht, jener Muttergottes, die den Weg weist, was die Seeräuber sicher nicht geistig meinen. Im wilden Meer unterhalb des schroffen Cavo Grosso sind sie auch auf göttliche Hilfe angewiesen, um durch die Untiefen und Riffs sicher zu ihren Schatzhöhlen zu gelangen – die sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Kapelle befinden. In weiteren Grotten hoch in der Felswand haben sich Mönche eingenistet, die da ihren Glauben und die Kirche pflegen.

Unweit der Schatzhöhlen ist die Odigitria selbst eine Schatzkammer. Die Piraten haben sich bei der Ausstattung der Kirche sichtlich nicht lumpen lassen und selbst wahre Künstler in die Steilwand oberhalb der Tigani verschleppt. Im Altarbereich überraschen feinste Steinmetzarbeiten; überall im Innenraum finden sie einmalig schöne Fresken, die nun die Seeluft zu Pastellen verblasst hat. Sind auch die Farben nicht mehr so kräftig wie einst, lässt sich Pracht der Kleidung immer noch erahnen. So trägt der Erzengel Michael ganz irdisch eine der Festroben, wie sie am Hof von Konstantinopel wieder Mode wurden, als die Franken endlich wieder verjagt waren.

 

Zeigt her eure Schuh!

 

Modenschau auf Kirchenwänden – so auch in der Trissakia bei Tsopakas. In dieser Kapelle, die mit drei Tonnengewölben auch baulich eine Besonderheit ist, sind die Fresken eine Art Modejournal des Mittelalters. Die biblischen Szenen zeigen den letzten Schrei – rein auf die Kleidung bezogen: So marschieren die Soldaten im Garten Gethsemane in der Rüstung der Kreuzritter auf. Ganz modisch up to date kommt der heilige Theodoros daher, mit spitzen Stiefeletten, gerade en vogue an normannischen Höfen, engen Beinkleidern und einem prachtvollen Cape mit Sternenmuster.
Andere Völker müssen auch andere Tischsitten ins Land gebracht haben. Vorbei sind die steifen Abendmahle, wie es ein vorwitziger Judas zeigt: Vor Jesus’ Augen beugt er sich weit über die Tafel, um vorneweg schon mal am Fisch zu naschen.
Modenschau
Innenraum der Odigitria-Kapelle, wo die raue Seeluft die Fresken zu Pastellen gebleicht hat (s.o.)

 

Westler
In der Mani sind die Kirchenwände auch Projektionsflächen des Zeitgeschehens. Ein seltsamer Adorant hat sich da in die Kapelle des Heiligen Panteleimonas bei Ano Voularii verirrt: Dieser Mann an der Seite der Heiligen trägt einen Fes und zieht an einer Wasserpfeife.
Mustafa was here! denkt man unwillkürlich, denn seit Mitte des 15. Jahrhunderts haben die Osmanen mit Konstantinopel das gesamte byzantinische Reich erobert. Hat sich da also ein Türke im Kirchlein des Panteleimonas verewigt?
Doch Mustafa war wahrscheinlich doch nicht hier, denn so weit in den Süden sind die Türken nie vorgedrungen. Es ist wohl das Selbstbildnis eines Griechen in Landestracht, zu der noch lang nach dem Freiheitskrieg der „rote maurische Fes” gehörte, wie Fürst von Pückler-Muskau beschreibt.
Der heilige Theodoros, ganz wie ein „Westler”, nicht wie ein Grieche gekleidet. Die Beinkleider sind im wahrsten Sinne des Wortes todchic: Die Stiefel müssen den Träger, die Sporen fast sein Pferd umgebracht haben.(s.o.)

 

Kirche zerschlägt Kirchen

 

Seit 1830 ist Griechenland wieder ein souveräner Staat, doch nicht ganz so frei. Den Hellenen wird ein Herrscher aus Bayern aufgezwungen, und dieser Otto ist streng katholisch. Seine klerikale Entourage überzeugt ihn bald davon, viele der orthodoxen Klöster schließen zu lassen. Fürst von Pückler-Muskau, der 1836 zu Pferd und Esel den Peloponnes erkundet, äußert sich entsetzt in seinem Reisetagebuch: „Wie ich erfuhr, hatte das Gouvernement in ganz Griechenland über 400 Klöster nicht nur aufgehoben, sondern im wahren Sinne des Wortes vernichtet, das heißt nicht nur für die Mönche, sondern größtenteils für die Kultur.” Auch in der Mani wollen Ottos Soldaten hart durchgreifen, wie Pückler-Muskau beschreibt.
Fresko
Fresko in der Trissakia-Kirche: Das Letzte Abendmahl.
„Hier fand bei der letzten Insurrektion zwischen Baiern und Mainoten ein bedeutendes Treffen in der Nähe des Dorfes Petrovuni statt, in welchem die deutschen Truppen im Nachteil blieben.” Das heißt im Klartext, dass die Bayern in die Flucht geschlagen wurden, was aber den Klöstern der Mani auch nicht mehr half.

 
Wo Klöster aufgegeben werden, sterben auch die Kirchen. Sie, die in den Jahren der Fremdherrschaften gepflegt und behütet wurden, verfallen nun im freien Staat Griechenland und werden zu Ruinen. Bei der Trissakia-Kapelle hat man in einem Verzweiflungsakt mit einer Stahlkonstruktion zu retten versucht, was so nicht zu retten ist und alles noch schlimmer gemacht.

 

Angesichts zerborstener Fresken, gebrochener Gewölbe, eingestürzter Altarräume bleibt nur noch Atem für ein Stoßgebet: Da walte doch noch einmal Gott und nicht weiter die byzantinische Antikenverwaltung! Dabei gäbe es in den Kapellen viel zu tun für das Heer an arbeitslosen Archäologen, denn die zu Abfallgruben verkommenen Kirchlein sind wahre Fundgruben. Pantokrator aus der Asche…

 

 Kirche im Schattenreich
 Die Kreuze des Südens
 Nestors Paradies

Zurück zu Impressionen aus Hellas